Längst hatte sich das Weihnachtsfest auch in der Christlichen Seefahrt etabliert. Doch keineswegs immer konnten die Sailors ein „anständiges Weihnachtsfest mit allem Drum und Dran“ feiern. So fehlte aus vielerlei Gründen auch auf der Viermastbark Hebe um 1900 die Weihnachtsstimmung. Einen Schiffsjungen bedrückte dies arg und er träumte vom schönen Heiligabend zu Hause. In Swansea hatte man eine Kohlenladung für Santiago übernommen. Harte Arbeit und Schwere See auf dem Kurs der Hebe zum Kap der Stürme verdrängten bei Kapitän und Crew weihnachtliche Gedanken. Beim Schiffszimmermann, der ihn ins Herz geschlossen und ein Auge auf ihn hatte, konnte unser Schiffsjunge, gerade mal 14 Jahre jung, sich wenigstens seine Bedrückung von der Seele reden. Obwohl nicht weniger hart und rau als die anderen Männer, ging es diesem nahe, wie sehr der Junge das Weihnachtsfest vermisste, von Weihnachten zu Hause erzählte und beklagte, dass es auf der Hebe noch nicht einmal einen Weihnachtsbaum gab. Erschöpft lagen die Männer der Freiwache in ihren feuchten Kojen. Statt Kerzen- und Tannenduft stank´s im Logis nach schimmelndem Leder, Ölzeug und verschmutzten Plünnen. Kein Weihnachtsbaum, kein Braten, kein Kuchen, nur ein vom Kapitän spendierter Schnaps… und der war für den Schiffsjungen noch tabu: Die Schiffsjungen durften weder Alkohol trinken noch rauchen, sich nicht in Gespräche der Matrosen einmischen und sogar das Logis verlassen, wenn bei den Sailors „Männergespräche“ aufkamen.
Feucht genug war´s ihm bislang ohnehin schon oft geworden, doch jetzt, in seiner Koje liegend, war es eine andere Feuchtigkeit, die ihm in den Augen stand. Mit dem, was dann aber geschah, hatte er in seiner Verfassung ganz gewiss nicht gerechnet. Von einer heiseren Stimme wurde er leise – die erschöpften Matrosen im Logis durften nicht geweckt werden –- zum Mitkommen aufgefordert und vom Schiffszimmermann in größter Stille und wortlos zu dessen Arbeitsplatz geführt. Das Raubein mit Herz öffnete vorsichtig das Schott und da sah der Schiffsjunge, festgezurrt (seefest natürlich) auf der Hobelbank ein Weihnachtsbäumchen mit drei brennenden, selbst gezogenen Kerzen. Jetzt strahlten die Augen des Jungen nicht weniger als die Flämmchen der Kerzen. Freilich konnte er seinem ganz persönlichen Weihnachtsmann nicht um den Hals fallen – wohlwissend, dass diesem sturmerprobten Fahrensmann ein solcher Gefühlsausbruch alles andere als recht gewesen wäre. Doch sah er deutlich genug, wie sehr er seine Freude teilte...
Wie aber hatte der Schiffszimmermann diesen Weihnachtsbaum herbeigezaubert? Heimlich war er zugange gewesen, hatte einen geeigneten Besenstiel gefunden und, ein richtiger Schiffszimmermann kann eben alles, mit Tauwerk und grüner Farbe, aus Schiffsgarn geflochtenen Ketten und Sternen in ein wenn auch wunderliches, doch im Kerzenlicht richtig schmuckes Weihnachtsbäumchen verwandelt.
„Das…" meinte der Schöpfer des Werks, um seine Rührung zu verbergen, „...ist bestimmt der wundersamste Weihnachtsbaum, den es je gegeben hat.“*
* Frei nach einer Erzählung aus „Weihnachten auf See“ von Kapitän Kurt Gerdau, © Husum-Verlag
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